Während die Corona-Krise für viele Unternehmen bestenfalls eine Herausforderung und schlimmstenfalls den Ruin bedeutet, konnte einer klar profitieren: US-Versandgigant Amazon macht Rekordumsätze und stellt ganze 175.000 neue Mitarbeiter ein. Amazon hat möglicherweise aber sogar noch größere Pläne und will in eine weitere Branche expandieren. In den Medien kursieren Gerüchte über eine Übernahme der Kinokette AMC durch Amazon. Das würde die Branche ordentlich aufwirbeln und Amazon dort einen ganz neuen Status verleihen. Wie sind die Gerüchte zu bewerten? Was würde eine tatsächliche Übernahme bedeuten und welchen Sinn hätte sie für Amazon? Hier eine Einschätzung der Lage:
Schwächelnde Kino-Branche trifft auf florierendes Online-Geschäft
Laut Medienberichten gibt es Verhandlungen
zwischen dem derzeitigen Inhaber von AMC -der chinesischen Wanda Group – und
Amazon über die Übernahme von AMC Theaters. Die Kinokette ist mit über 1000
Kinos und 10.000 Leinwänden einer der weltweit größten Kinoanbieter. Teil von
AMC Theaters ist die britische Odeon-Gruppe, die auch in Deutschland unter dem
Namen UCI Kino aktiv ist.
Die Kinobranche hat es in den vergangenen
Jahren nicht leicht gehabt, wobei nicht zuletzt auch Streaming-Dienste wie
Amazon Prime Video eine Rolle spielten. Auch AMC geriet in finanzielle
Schieflage. Die Schließungen der Kinos aufgrund der Corona-Pandemie mit
wochenlangen Einnahmeausfällen dürften die Lage zusätzlich deutlich verschärft
haben. Das wirkt sich natürlich auch auf den Marktwert des Unternehmens aus und
könnte es jetzt zum „Schnäppchen“ für Amazon werden lassen.
An der Börse ist der Wert der AMC-Aktie innerhalb des letzen Jahres massiv gesunken. Der Wert des Unternehmens liegt dort aktuell bei etwa 306 Millionen Dollar – kein hoher Preis für einen globalen Marktführer dieser Größenordnung und für Amazon allemal erschwinglich.
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Den Berichten zur möglichen Übernahme
zufolge soll Amazon zunächst nur am britischen Segment des Unternehmens
interessiert gewesen sein, sich dann aber auf den Gesamtkonzern fokussiert
haben. Wie weit die Verhandlungen möglicherweise schon fortgeschritten sind und
ob der Mega-Deal wirklich zustande kommt, ist noch nicht bekannt.
Darum würde der Coup für Amazon Sinn
machen
Bereits in der Vergangenheit hat Amazon
Interesse am Kinogeschäft gezeigt und versuchte den Einstieg über die Kinokette
Landmark Theatres, an der damals auch Streaming-Konkurrent Netflix interessiert
gewesen war. Dies scheiterte aber 2018 für beide. Landmark war ein
vergleichsweise kleiner Anbieter mit nur etwa 250 Leinwänden in den USA. Nun
soll es gleich der weit größere – aber wankende – Marktführer AMC sein. Warum
Amazon in eine kriselnde Branche einsteigen sollte – noch dazu mitten in den
unsicheren Zeiten einer Pandemie – mag Vielen fraglich erscheinen. Aber nur auf
den ersten Blick. Denn für Amazon geht es hier vermutlich erstmal mehr um
Einflussnahme als um Gewinnspannen. Auf dem Streaming-Markt wächst die
Konkurrenz. Erst kürzlich ist mit Disney+ ein neuer Anbieter eingestiegen, der
mit Exklusiv-Angeboten viele Kunden zu sich ziehen könnte. Gleichzeitig
erfreuen sich Eigenproduktionen von Streamingdiensten immer größerer
Beliebtheit – allerdings ohne ernsthaft den Sprung auf die große Leinwand zu
vollziehen und auch ihr Einfluss auf die Filmbranche in Hollywood ist begrenzt.
Der Einstieg ins Kinogeschäft via AMC zum Schnäppchenpreis würde Amazon nicht nur einen weiteren Distributionskanal eröffnen, sondern das Unternehmen auch zu einem der Big-Player und Tonangeber der Branche machen.
Wie sind die möglichen Bestrebungen von
Amazon einzuordnen?
Wer den Namen Amazon hört, denkt immer noch
vorrangig an Online-Handel. Tatsächlich kann man wohl sagen, dass das
Onlinegeschäft nach wie vor den Mittelpunkt des Unternehmens darstellt. Aber
Amazon ist mittlerweile weit mehr und entwickelt sich zunehmend zur
unübersichtlichen Konzern-Krake. Amazon ist Online-Handel,
Zahlungsdienstleister, Smart-Home-Anbieter, produziert Filme, Serien und
Spiele. Hörbuch-Anbieter Audible, Stoffgroßhandel Fabric und die
Streaming-Plattform Twitch sind nur einige der Amazon-Töchter. Erst 2017 wurde
auch die große amerikanische Bio-Supermarkt-Kette Whole Foods Teil der
Amazon-Familie.
Manche Erweiterungen erschienen zunächst
merkwürdig, stellten sich im Nachhinein aber als wirtschaftlich und strategisch
geschickt und vorausschauend heraus. Amazon scheint Kundenwünsche zu erkennen,
bevor diese überhaupt entstehen.
Oft geht es bei Amazons
Konzern-Erweiterungen aber auch um Unabhängigkeit und Kontrolle. Das Motto
scheint zu sein: Wer selbst der Markt ist, ist nicht vom Markt abhängig. Und in
diese Kerbe würde auch der Kauf von AMC schlagen und somit sehr gut in Amazons
Beuteschema passen.
Das wären mögliche Auswirkungen
Der Ankauf von AMC wäre für Amazon nicht
nur ein Einstieg in die Kinobranche, sondern ein direkter Sprung an die Spitze.
Amazon hätte damit, neben Prime Video, einen weiteren großen
Veröffentlichungskanal – und wäre damit nicht abhängig von anderen
Branchenanbietern. Streaming und Kino könnten sich gegenseitig ergänzen und
wechselseitig vermarkten. Gekoppelt mit anderen Amazon-Angeboten könnte sich
auch der Kinobetrieb selbst für Amazon als lohnenswert erweisen.
Und: Amazon würde mit einem Schlag massiv
an Einfluss in Hollywoods Filmwelt gewinnen. War Amazon vorher von der Branche
abhängig, um seine Inhalte dort platzieren zu können, wäre es durch den
AMC-Ankauf genau umgekehrt.
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Das würde auch Konkurrenten wie Disney
betreffen, denn um Filme in die Kinos zu bringen, müsste sich Disney mit Amazon
einig werden. Und das könnte beispielsweise auch bedeuten, dass eigentlich
exklusiver Disney+ Contend doch noch seinen Weg zu Prime Video finden könnte.
Gleiches gilt für die Netflix-Anbieter, die gerüchteweise zukünftig verstärkt
nicht nur für das eigene Streaming-Portal, sondern auch für die große Leinwand
produzieren möchten und damit an Amazon als Kino-Gigant nicht vorbei kämen.
Das Krisen-Schnäppchen AMC wäre damit Ausgangspunkt für eine neue Win-Win-Situation für Amazon.
Was könnte sich für den Endkunden ändern?
Was in Amazons Händen letztlich aus der
Kino-Welt werden würde, darüber lässt sich vorerst nur spekulieren. Das alte
Privileg des Kinos als Erstmedium für neue Filme könnte möglicherweise ins
Wanken geraten, falls Amazon sein Prime-Angebot fördern möchte. Filme könnten
dann schon beim Filmstart sowohl im Kino als auch per Stream zugänglich sein –
vermutlich zu ähnlichen finanziellen Konditionen. (Die Ironie dabei: Es war
ausgerechnet AMC, das kürzlich mit einem Boykott von Universal-Filmen drohte,
falls das Studio Filme gleichzeitig im Kino und Online starten lassen würde.)
Man kann Amazon aber durchaus genug kluges Marketing und Mut zur Innovation zutrauen, um auch das Kino wieder zum lukrativen Publikumsmagneten zu machen. Spekulationen gab es bereits über eine Eingliederung von Amazon Go, Amazons kassenlosem Supermarkt-Konzept, in den Kinobetrieb. Für Filmfans könnte sich ein Übernahme also durchaus positiv auswirken. Kleinere Kinoanbieter müssten den neuen Riesen am Markt aber (mit Recht) fürchten…
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1 Kommentar
Ich gespannt, ob dieser Deal tatsächlich Zustande kommt und wie das Kino-Erlebnis von Morgen aussehen wird!