Seit jeher gibt es eine Unterscheidung zwischen dem B2C-Bereich (Business-to-Consumer), dem B2B-Bereich (Business-to-Business) und einiger weniger stark genutzten Ausprägungen wie z. B. C2C-Bereich (Consumer-to-Consumer). Doch in der jüngeren Vergangenheit sollte man einmal genauer hinschauen, ob die Grenzen hinsichtlich der Ansätze und Theorien der Geschäftsmodelle und der Unternehmen weiterhin klar sind oder mehr und mehr verschwimmen. Getrieben durch u. a. die digitale Transformation verändern sich Geschäftsmodelle laufend und Unternehmen orientieren sich neu. Wir werden häufig gefragt, ob die Erscheinungen und Erkenntnisse im B2C-Bereich (z. B. hinsichtlich Plattformökonomie) auch im B2B-Sektor gelten und anwendbar sind. Um diese Frage zu beantworten, sollten wir uns unterschiedlichen Aspekte widmen.
Zu den Unternehmen
Unabhängig von der Anwendbarkeit in den unterschiedlichen
Bereichen müssen wir uns fragen, ob Unternehmen überhaupt noch in diesen Grenzen
denken (dürfen). Während z. B. Großhandelsunternehmen ausschließlich B2B-Geschäft
betrieben haben, kam die erste Aufweichung dieser Grenze durch das
Drop-Shipment. Der Kundenzugang und das eigentliche Geschäft ist weiterhin B2B,
dennoch beliefert man plötzlich B2C. Des Weiteren suchen Großhandelsunternehmen
/ Importeure sukzessive den direkten Kontakt zum Kunden. Aus B2B wird plötzlich
B2C.
Es lässt sich beobachten, dass die Beziehung von
traditionellen B2B-Unternehmen zum eigentlichen Verbraucher intensiver wird,
auch wenn eine Reihe von Unternehmen noch nicht direkt mit den Verbrauchern eine
Geschäftsziehung eingehen. Eine strikte Trennung der Geschäftsbereiche in
Unternehmen wird seltener, zunehmend bedienen Unternehmen mehrere Bereiche.
Teilweise wird diese Entwicklung vom Markt bzw. vom Kunden gefordert, aber
teilweise macht Digitalisierung dem damit einhergehenden Wandel diese
Entwicklung erst möglich. „Mass Customization“, sprich die kundenindividuelle
Massenfertigung, wäre ohne digitale Transformation nahezu unmöglich gewesen.
Industrie 4.0, IoT etc. waren der Grundstein für geringe Losgrößen.
Beispiel: Möbel
Hinsichtlich „Mass Customization“ können beispielsweise Möbel
nun individuell nach Kundenwunsch von den Herstellern mit einer Losgröße von 1
gefertigt und vertrieben werden. Das sind die gleichen Hersteller, die gestern
noch komplexe Vertriebskonstrukte, wie Verbände, Möbelhäuser o. ä. brauchten.
Aufgrund dieser Konstrukte wurden große Stückmengen gefertigt, um die Produkte
einer breiten Masse anzubieten. Unabhängig davon, dass die Kunden, getrieben
durch die neuen Möglichkeiten, vielleicht gar keine Massenprodukte mehr wünschen,
benötigen diese zunehmend unabhängiger gewordenen Hersteller die besagten
komplexen Vertriebskonstrukte nicht mehr oder haben mindestens das Potenzial
dazu, ohne diese zu funktionieren. Das hat übrigens nicht nur Auswirkung auf z.
B. die Möbelhäuser, sondern auch auf alle anderen an dieser Wertschöpfungskette
beteiligten Teilnehmer, wie z. B. Logistiker.
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Was ist mit den Herstellern?
Ob ein Sportartikelhersteller oder der Hersteller von
Komponenten für Gartenmaschinen – alle
suchen zunehmend den direkten Kontakt zum Verbraucher. Dieser Hype im
Direct-To-Consumer ist nicht neu, dennoch intensiviert sich dieser Ansatz.
Während einem Sportartikelhersteller dieser Ansatz momentan noch leichter
fällt, ist der Hersteller einer Maschinenkomponente heute noch nicht in der
Lage den Endkunden direkt zu bedienen. Der eine verkauft ein fertiges Produkt,
der andere lediglich eine Komponente, die weiterverarbeitet wird. Aber auch
hier entstehen teils neue digitale Produkte und Leistungen, die dabei helfen eine
direkte Verbindung aufzubauen.
Generell lässt sich sagen, dass Unternehmen gar nicht mehr
klassisch in die Bereiche B2b und B2C unterteilt werden können und diese
Denkweise nicht mehr zeitgemäß zu sein scheint. Zusammengefasst: Unternehmen
erschließen zunehmend neu Bereiche, teilweise vom Markt gefordert, teilweise
aus einer Eigendynamik, weil neue Möglichkeiten entstehen.
Beispiel: E-Commerce
E-Commerce ist im B2C-Bereich nicht mehr wegzudenken und
auch im B2B-Bereich ist seine Bedeutung mittlerweile substanziell, auch wenn es
immer noch stark sortimentsabhängig ist. Industrie 4.0 ist in aller Munde. Es
werden neue Technologien entwickelt, durch die die physische Welt mit der
digitalen Welt verknüpft werden kann. Hersteller im Maschinenbau,
Automobilzulieferer, Logistik etc. arbeiten bereits zusammen, um die
Wertschöpfungsketten zu digitalisieren bzw. mit digitalen Tools zu steuern und
optimieren.
„Unsere Kunden wollen nicht online bestellen, die Beziehung zu dem Vertriebsmitarbeiter ist ihnen wichtig.“
– sinngemäßes Zitat eines Geschäftsführers aus dem Maschinenbau.
„Wir bauen gerade einen Online-Shop auf. Dort werden nur Standardteile angeboten. Der Rest unseres Portfolios ist zu komplex.“
– sinngemäßes Zitat eines Vertriebschefs aus dem Handel mit Autoteilen.
Dabei geht es aber nicht ausschließlich darum, Produkte
online zu erwerben, d.h. vom Entscheidungsprozess bis zum Auslösen der
Bestellung digitale Kanäle zu benutzen. Vielmehr sorgen Industrie 4.0 und IoT dafür,
dass ein händischer Eingriff in den Beschaffungsprozess obsolet wird. Von der
Materialbeschaffung bis zu den Betriebsstoffen oder den Ersatzteilen können Maschinen
sich zunehmend selbst verwalten. Dabei ist egal, ob es eine Person im
Unternehmen gibt, die lieber mit einem Vertriebsmitarbeiter sprechen möchte.
Diese Person wird voraussichtlich nicht mehr erforderlich sein und die
Maschinen erledigen diese Prozesse.
Das Verhalten von Einkäufern verändert sich.
Dennoch gibt es genügend Prozesse, bei denen eine
Beschaffung von Produkten nicht automatisiert abläuft und Einkäufer involviert
sind. Doch auch die angeblich so konservativen Einkäufer verändern ihr
Verhalten und neue Generationen rücken nach. Digitale Awareness und Bedürfnisse
werden nicht an der Türschwelle zum Büro abgelegt.
Durch ein bestimmtes Einkaufsverhalten im B2C und den damit
verbundenen absoluten Kundenfokus, u. a. durch Amazon vorgelebt und etabliert,
entwickeln Einkäufer mit der Zeit eine andere Erwartungshaltung, auch wenn
zunächst noch im privaten Bereich. Diese Erwartungshaltung überträgt sich
jedoch schnell auch auf den beruflichen Bereich, so dass sich die Anforderungen
an B2B verändern. Nicht nur schnelle Rückmeldungen oder sehr kundenfreundliche
Lösungen sind an der Tagesordnung, sondern vor allem ist Transparenz iein
wichtiges Thema. B2B-Preise und -Informationen sind bis heute oftmals „auf
Anfrage“ oder „individuell“, was einerseits verständlich ist, andererseits
jedoch schnelle und vor allem neue Einkäufer oder die junge Generation, die mit
E-Commerce groß geworden sind, abschrecken könnte.
Brand Building
Große Marken wie Coca Cola, Nike oder Mercedes-Benz sind auf
der ganzen Welt bekannt. Doch die Bekanntheitsgrade der Zulieferer von
Materialien, Maschinen oder Zusatzteilen für die Herstellung der Produkte
hinter den genannten großen Marken ist maximal in der eigenen Branche
verbreitet. Starkes Brand Building hat in der Vergangenheit hauptsächlich nur
im B2C eine Rolle gespielt und wenig im B2B – man kannte sich halt. Sollten beispielsweise
Vermutungen bezüglich Voice Commerce (Einkauf über sprachgesteuerte Geräte, wie
z. B. Amazon Alexa oder Google Home) eintreffen, wird in Zukunft immer stärker per
„Zuruf“ eingekauft. Um hier sowohl im B2C als auch im B2B erfolgreich zu sein,
gilt es Top of Funnel zu sein. Das erreicht man nur mit einer starken Marke,
die nach außen bekannt ist, damit die Tools zu Hause oder im Büro die Artikel
des eigenen Unternehmens einkaufen. Auch im B2B müssen Käufer sich mit einer
Marke identifizieren können, denn auch hier wird eine gewisse „Awareness“ nicht
an der Türschwelle abgelegt.
Kundenzugang
Der Kundenzugang im B2B ist stark durch den Vertrieb
beeinflusst. Über den Vertrieb erhält das Unternehmen den Zugang zum Kunden.
Oftmals werden aus diesem Grund neue Vertriebsmitarbeiter mit einem
entsprechenden Netzwerk aus der eigenen Branche gesucht. Im B2C hat sich der
Kundenzugang in den letzten Jahren stark verändert und sich auf ein paar wenige
Marktteilnehmer verlagert, so dass ein Oligopol hinsichtlich Kundenzugangs
entstanden ist. Durch die Nutzung von Marktplätzen oder Vergleichsportalen für
bspw. Mode oder Elektronik, ist der direkte Kundenzugang von Herstellern stark
abhängig vom GAFA – Google, Amazon, Facebook, Apple, die vier Unternehmen, die
in der westlichen Welt über DEN Kundenzugang verfügen und an denen praktisch
kein Weg vorbei führt.
Und auch im B2B-Bereich sind ähnliche Entwicklungen zu
beobachten, auch wenn bisher weniger stark vorangeschritten. Die Situation scheint
bisher weniger aussichtlos zu sein, da eine oligopolistische Situation noch
nicht besteht oder noch weniger stark ausgeprägt ist. Stand heute verfügen
Unternehmen im B2B-Bereich über einen immensen Kundenzugang, der ihnen auch
selber gehört. Ob die Marktteilnehmer hier die gleichen sein werden oder ob
sich weitere Unternehmen durchsetzen, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch,
dass es naiv wäre davon auszugehen, dass diese Entwicklungen einhergehend mit
einer starken Konsolidierung des Marktes hinsichtlich des Kundenzugangs nicht
eintreten werden.
Es wird sicherlich in den kommenden Jahren starke
Veränderungen vor allem im Vertrieb und Marketing geben. Der Außendienst wird
weniger als „Bestellannehmer“ agieren, sondern stärker in die
Wertschöpfungskette integriert. Mit Hilfe von besseren Daten über den Kunden
können Angebote perfekt zugeschnitten werden und der Außendienst rückt noch
stärker in eine beratende Funktion. Vielleicht gelingt es dabei den
Kundenzugang selber zu behalten und auch auszubauen.
Anforderungen sind im B2B häufig deutlich komplexer als
im B2C.
Häufig sind die Anforderungen im B2B deutlich komplexer als
im B2C. Nicht nur die Tickets (Warenkörbe) sind oft deutlich größer, sondern
auch die Entscheidungswege länger und der Einkaufsprozess aufwendiger. Im B2C
handelt die entscheidende Person oftmals nach den eigenen Bedürfnissen allein. Entscheidungen
werden nicht selten innerhalb von Sekunden getroffen, wenn nicht sogar
unterbewusst. Im B2B hingegen sind nicht selten ganze Teams im Einkaufsprozess
eingebunden, z. B. die Fachabteilung, der Einkauf und ggf. die
Geschäftsführung. Diesen Teilenehmern muss über den gesamten Einkaufsprozess
hinweg jegliche Informationen so transparent und einfach wie möglich zugänglich
gemacht werden. Diese Komplexität ist als Chance zu verstehen, denn es könnte
sein, dass das GAFA diese Komplexität in seinen hochstandardisierten Prozessen
nicht abbilden kann. Hier sollten Anbieter sich gut positionieren und den
Anforderungen gerecht werden.
Fazit
Eines steht fest: Die Menschen, die heute Abend privat auf dem Sofa eine Hose kaufen oder eine Versicherung abschließen, die ins Theater gehen oder Netflix schauen, sind diejenigen, die morgen beruflich Maschinen kaufen, einen neuen Logistiker beauftragen, eine Software für die Warenwirtschaft evaluieren oder Entscheidungen zu Finanzprodukten im Unternehmen treffen. Dass diese Menschen ihr Verhalten, ihre Bedürfnisse und ihre Awareness an der Türschwelle ablegen, ist wenig plausibel. Alleine aus diesem Grund werden die Erkenntnisse übertragbar sein. Aber ob es nun Amazon sein wird oder Platz für neue Modelle und Teilnehmer besteht, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall besteht noch Raum diesen Platz zu gestalten.
Sebastian Karger
Gründer und Geschäftsführer von 25R